Auf’s „Game” gehen: So nennen es PoM (People on the Move) wenn sie versuchen, die bosnisch-kroatische Grenze zu überqueren, um einen Asylantrag in der EU zu stellen. Kroatischen Boden zu erreichen, reicht jedoch nicht. Weil die kroatische Polizei seit Jahren systematisch gewaltsame Pushbacks durchführt, wenn sie PoM aufgreifen, ist das „Game“ gefährlich und endet nicht selten in traumatisierenden Gewalterfahrungen für die Schutzsuchenden.
Einige PoM, oftmals alleinstehende Männer oder Familien ohne Kinder, versuchen ganz Kroatien zu durchqueren, um es unentdeckt bis nach Slowenien oder Italien zu schaffen. Ihre Hoffnung ist, dort erstmal in Sicherheit zu sein. Der Weg führt ca. 100 Kilometer durch den Wald, wobei gefährliche Flüsse überquert werden müssen. Vereinzelt ertrinken PoM bei den oft nächtlichen Überquerungsversuchen. Außerdem ist das gesamte Gebiet noch immer vermint. Vor einige Monaten starb ein Mensch auf dem „Game“ durch eine Landmiene aus dem Jugoslawienkrieg, mehrere wurden verletzt. Die größere Gefahr geht jedoch von der kroatischen Polizei aus: Mit hoher Präsent und unter dem Einsatz von Infrarot-Kameras, Drohnen und Handy-Ortungen spürt sie PoM auf und pusht sie gewaltsam zurück nach Bosnien. PoM berichten außerdem, dass sie sich auch vor der kroatischen Bevölkerung verstecken müssen. Wenn sie sich zum Beispiel auf ihrem Weg durch Kroatien in einer Ortschaft etwas zum Essen kaufen, kommt es immer wieder vor, dass die Bevölkerung die Polizei alarmiert und die Schutzsuchenden gewaltsam nach Bosnien abgeschoben werden. Um eine Chance zu haben, es bis nach Italien zu schaffen müssen die PoM also in ganz Kroatien unentdeckt bleiben. Ein so langer Fußmarsch ohne gesehen zu werden und ohne Proviant kaufen zu können, ist fast unmöglich. Wenn es die PoM trotz der unmenschlichen Strapazen bis nach Slowenien oder Italien schaffen, ist die Pushback-Gefahr etwas geringer. Doch auch andere EU-Staaten wie Slowenien, Italien und Österreich beteiligen sich nachweislich an illegalen Pushbacks. Auch von sogenannte ‘Ketten-Pushbacks’ von Italien zurück bis nach Bosnien wird berichtet.
Vor allem Familien mit kleinen Kindern oder angeschlagene Personen, die den langen Fußmarsch nicht bewältigen können, wählen eine andere Strategie, um in die EU zu gelangen: Sie melden sich nach dem bosnisch-kroatischen Grenzübertritt freiwillig bei der IOM (International Organisation of Migration), sagen dass sie in Kroatien sind und hoffen, in das Porin Reception Centre in Zagreb aufgenommen zu werden. PoM schildern jedoch, dass kurz nach ihrem Anruf die Polizei auftaucht, sie verhaftet und zurück nach Bosnien pushed, anstatt ihr Recht auf eine Asylantrag in Kroatien zu achten. Ab und zu und ohne jegliche Verlässlichkeit oder Vorhersehbarkeit werden PoM tatsächlich in das Camp in Kroatien gebracht. Deswegen versuchen es die Menschen immer und immer wieder und ertragen dabei die Gewaltexzesse der kroatischen Polizei, um irgendwann „Glück“ zu haben und es in das Camp zu schaffen. Frauen und ältere Kinder gehen regelmäßig alleine mit dieser Strategie auf’s “Game”, denn die Chance ist so etwas größer, dass sie tatsächlich in das kroatische Camp gelassen werden. Der Vater und kleine Kinder bleiben dabei in Bosnien zurück und sind oft monate- oder jahrelang von dem anderen Teil der Familie getrennt.
Je nach Gruppenkonstellation und abhängig von Berichten über erfolgversprechendere Wege, ändern sich die Game-Strategien der Schutzsuchenden. Es ist ein abartiges Katz-und-Maus-Spiel mit der kroatischen Polizei. Verzweiflung und Optionslosigkeit zwingt die PoM dazu, sich immer wieder aufs Neue den Gefahren des Grenzübertritts auszusetzen, motiviert von der Hoffnung auf ein friedliches, menschenwürdiges Leben in der EU.