#solidaritywithoutborders

Rückspiegel in der Nacht
Welche Rolle spielen Schmuggler:innen im Support im Grenzgebiet?

Eine Gegenüberstellung von Schmuggeldienstleistungen mit solidarischem Support im bosnischen Grenzgebiet – ein Gastbeitrag

„The game has changed“, kommentiert ein lokaler Café Besitzer die aktuelle Lage im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet. Was hat sich geändert? Noch immer riegelt die kroatische Polizei die EU-Grenze mit Gewalt und Folter ab und schiebt Schutzsuchenden systematisch und illegalerweise zurück nach Bosnien. Die rassistische, menschenverachtende EU-Migrationspolitik, die die kroatischen Behörden in Form von bewaffneten, vermummten Schlägertrupps umsetzt, ist noch immer bittere Realität.

Anders als vor einigen Monaten sind jedoch die gängigen Fluchtrouten und Fortbewegungsstrategien. Neben einer Verlagerung der Route über Serbien nach Ungarn, berichten People on the Move (PoM) und Bosnier:innen im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet, auch über die veränderten Strategien auf dem „Game“ in der Region.

Es war einmal – das „Game“ vor einigen Monaten

Vor einigen Monaten wurde das “Game” vorwiegend zu Fuß versucht. Täglich haben sich hunderte Menschen nur mit dem Nötigsten im Gepäck auf den Fußmarsch durch Kroatien in Richtung Slowenien und Italien auf den Weg gemacht. Der tagelange Fußmarsch durch die kroatischen Wälder endete meistens in einer illegalen Zurückführung nach Bosnien. Neben physischer und psychischer Gewalt waren die Zerstörung von Handys, das Stehlen von Wertsachen und das Verbrennen von Klamotten und anderen Habseligkeiten Teil der illegalen Grenzsicherungspraxis Kroatiens als Teil der EU. Zurück in Bosnien mussten die Schutzsuchenden erneut erhebliche Summen zur Deckung des Grundbedarfs und der nötigen Ausrüstung für einen weiteren Grenzübertrittsversuch investieren.

Neben der menschlichen Katastrophe frisst eine Flucht unglaublich viele finanzielle Ressourcen der Schutzsuchenden. Je länger es dauert, desto mehr Geld muss für Schlafsäcke, SIM-Karten, Powerbanks etc. ausgegeben werden. Internationale und lokale Organisationen, die sich für Bewegungsfreiheit für alle einsetzen und sich solidarisch mit Schutzsuchenden zeigen, unterstützen illegalisierte Migrant:innen mit überlebenswichtigen Ressourcen wie Kleidung und Essen im bosnischen Grenzgebiet, können jedoch keine hundertprozentige finanzielle Entlastung übernehmen. Da die Mittel limitiert sind können bei weitem nicht allen Bedürfnissen entsprochen werden. Insbesondere teure Gegenstände, wie Handys und Powerbanks sind Mangelware. Neben dem Kostenpunkt können Organisationen und Aktivist:innen diese Dinge auch nicht ohne erhebliches Repressionsrisiko verteilen, da das Bereitstellen von Gegenständen, die konkret für den Grenzübertritt genutzt werden, als Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt kriminalisiert werden kann. Daher beschränkt sich die Supportarbeit im bosnischen Grenzgebiet im Regelfall auf Ressourcen des täglichen Bedarfs.

Taxifahrten in die EU

Jetzt hat sich das „Game“ verändert. Viele der Menschen, die im Norden Bosniens ankommen, sind nur wenige Tage hier und kommen auch nicht wieder. Sie organisieren und bezahlen eine:n Schmuggler:in , der sie in die EU transportiert. Je nach Budget der Schutzsuchenden gibt es Schmuggler-Strukturen die Fahrten nach Zagreb oder sogar bis nach Italien anbieten. Meist werden die PoM von den Fahrern:innen kurz hinter der kroatischen Grenzen eingesammelt. Fahrzeuge bieten einen nicht unerheblichen Schutz vor der Polizei, ihren Hunden, Wärmebildkameras und Bewegungsmeldern, die das Grenzgebiet von illegalisierter Einwanderung abschotten sollen.

Berichten des Border Violence Monitoring Networks (BVMN) zur Folge passieren zwar auch Pushbacks aus Zagreb heraus, jedoch ist die Chance in der Metropole aufgegriffen und nach Bosnien zurückgebracht zu werden geringer. Außerdem berichten PoM in den letzten Monaten vermehrt, dass Kroatien eine Art „7-Tage-Visa“ für illegalisierte Migrant:innen ausstellt. Die PoM haben dann also sieben Tage Zeit, Kroatien und den gesamten europäischen Wirtschaftsraum wieder zu verlassen. So werden sie zwar systematisch davon abgehalten einen Asylantrag in Kroatien zu stellen, können jedoch auch ohne zurück nach Bosnien zurückgeschoben zu werden weiter in Richtung Mitteleuropa ziehen, was in den meisten Fällen sowieso das Ziel ihrer Reise ist. In Zagreb angekommen versuchen die Menschen dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln Slowenien, Italien, Österreich oder Frankreich zu erreichen.

Trotz der motorisierten Fortbewegung, ist auch das „neue Game” mit Risiken verbunden und bei weitem kein „sicherer Fluchtweg“. Schutzsuchende bleiben in einer extrem vulnerablen Position, in der sie den Schmuggler:innen und potenzieller Gewalt und Gewahrsam ausgesetzt sind.  Sichere Fluchtoptionen wie humanitäre Visa für die EU-Staaten gibt es nicht. Die EU lehnt die Einführung humanitärer Visa, sowie eine generelle Veränderung -also Lockerung- ihrer Visa- und Migrationspolitik ab. Weil es keine sicheren Fluchtwege gibt, müssen sich Schutzsuchende illegalisiert auf den Weg machen und sind dadurch ausbeuterischen Strukturen ausgesetzt. Auch Schmuggler:innen-Strukturen können äußert brutal, ausbeuterisch und gewaltvoll sein. Im Nordwesten Bosniens, wo die Beobachtungen zu diesem Beitrag gemacht wurden, scheinen es zwar kaum Gewaltexzesse von Seiten von Schmuggler:innen zu geben. An anderen EU-Außengrenzen ist das anders. Aktivist:innen, die im Norden Serbiens aktiv sind, berichten zum Beispiel von extremer psychischer und physischer Gewalt, die von Schmuggler:innen gegenüber PoM ausgeübt wird. Mit diesem Text sollen diese Strukturen und Verhaltensweisen nicht verharmlost, unterstützt oder gutgeheißen werden. Er soll vielmehr eine kritische Selbstreflektion von Supportarbeit hinsichtlich des letztlichen Nutzen für Flüchtende sein.

Neben den Risiken für die Schutzsuchenden, die, wenn sie in Autos entdeckt werden Berichten zur Folge ohne rechtsstaatlichen Mechanismus tagelang inhaftiert und dann oft auch wieder aus der EU gepushed werden, sind auch die Schmuggler:innen juristischen Gefahren ausgesetzt. Werden sie beim Transportieren von illegalisierten Personen erwischt droht eine mehrjährige Haftstrafe.

Einmal schmuggeln bitte!

Weil das Risiko für die Fahrer*innen erheblich ist, lassen sich die Schmuggler*innen ihre Dienste teuer bezahlen. Sie profitieren finanziell von der Notlage der Schutzsuchenden, was man sicherlich kritisch sehen muss. Man kann das Schmuggeln jedoch auch als “normale” Dienstleistung sehen. Es ist eben eine (überteuerter) Dienstleistung, in der das Angebot – eine Autofahrt – auf die Nachfrage – Mobilität – trifft.  Es ist keine humanitäre Hilfe und hat auch nicht den Anspruch ethisch und moralisch vorbildlich zu sein. Schmuggler*innen sind oft selbst illegalisierte Migrant:innen, die sich etwas dazu verdienen wollen und durch die Vermittlung von Fahrer*innen ihren Unterhalt verdienen und ihre Familien in den Herkunftsländern unterstützen. Oder es sind lokale, bosnische Menschen, die ebenfalls auf das Einkommen durch Schmuggel-Fahrten angewiesen sind. Bosnien und Herzegowina ist eines der ökonomisch schlechtgestelltesten Länder Europas. Die Arbeitslosenquote liegt bei rund 17%, es gibt keine staatliche Altersvorsorge, die öffentliche Infrastruktur ist dürftig und das demokratische System instabil und von Korruption geplagt. Das Ausnutzen der Notlage entsteht in den meisten Fällen also nicht aus gemeiner Geldgier, sondern ebenfalls durch eine Notlage, in der sich die Ausnutzenden befinden. Dass die Schmuggler*innen eine Haftstrafe mit ihrer Tätigkeit riskieren, zeigt das auf.

Die Preise für eine sog. “Taxifahrt” in die EU sind durchaus hoch. PoM berichten, dass mehrere hundert Euro pro Person für einen Transport nach Kroatien gezahlt werden müssen. Eine Fahrt nach Italien kostet Berichten zur Folge vier bis sechs tausend Euro pro Person. Sicherlich können sich dies nicht alle Schutzsuchende leisten, was das “neue Game” zu einer Art klassistische Fortbewegungsmethode macht. Schmuggler-Strukturen werden zwar deutlich häufiger genutzt als noch vor einem Jahr, trotzdem muss der Großteil der hier durchreisenden PoM das „Game“ aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen weiterhin zu Fuß probieren.  Die hohen Kosten, die mit fortwährenden Grenzübertrittsversuchen zu Fuß und mit dem Überleben im bosnischen Grenzgebiet verbunden sind, relativieren den hohen Preis jedoch etwas. Wer mehrere Monate im bosnischen Grenzgebiet überleben muss, der:die gibt mehrere hundert Euro für Nahrungsmittel, Schlafsäcke, Handys, Powerbanks usw. aus. Für diese Summe könnte man in vielen Fällen wahrscheinlich eine Taxifahrt nach Kroatien finanzieren und sich die Monate in unmenschlichen Bedingungen im Norden Bosniens sparen.

Rechnet man auch das Geld, welches unabhängige, basisdemokratische Organisationen, die die Bewegungsfreiheit von People on the Move unterstützen wollen und sie mit überlebenswichtigen Ressourcen im bosnischen Grenzgebiet ausstatten, ein,  wird der Preis für eine Taxifahrt weiter relativiert. Einerseits entlastet der materielle Support durch die Organisationen die PoM finanziell, weil sie keine eigenen Mittel für Schlafsäcke, Essen und Kleidung ausgeben müssen. Andererseits, würden die Mittel der Organisationen in Taxifahrten investiert werden und die Menschen nicht im Grenzgebiet verweilen müssen, so müsste niemand – weder Support-Strukturen, noch PoM selbst – Geld für Überlebensmittel in Bosnien ausgeben.

Hinzukommt, dass, wenn mehr Menschen aus humanitären Gründen und daher für kein oder wenig Geld (z.B. nur Spritkosten) Fluchthelfer:innen wären, es auch mehr Konkurrenz auf dem Schmuggler-Markt gäbe. Nach kapitalistischer Marktlogik würde dies das allgemeine Preislevel für Schmuggelfahrten drücken. „Taxifahrten“ in die EU würden erschwinglicher und weniger klassistisch werden. Insbesondere da die People on the Move unfreiwillig im bosnischen Grenzgebiet ausharren, wäre es sinnvoller, wenn die solidarischen Strukturen ihre Mittel für “Taxifahrten” zur Verfügung stellen würden, da sie dadurch den Migrationswunsch der PoM unterstützen würden. Dadurch würden PoM schneller an ihr Ziel kommen und oftmals könnte dadurch, wenn man alle Mittel aller Beteiligten in diese hypothetische Rechnung einbezieht, auch noch Geld gespart werden. Aufgrund der Kriminalisierung von Fluchthilfe von Seiten aller EU-Staaten und anderen rechtlichen Hürden, ist dies strukturell nicht möglich und würde das Aus der organisierten Strukturen und die kriminelle Verfolgung der beteiligten Mitglieder und Aktivist:innen bedeuten. Die Entscheidung für den materiellen Support im bosnischen Grenzgebiet und gegen aktive Fluchthilfe scheint also logisch und für die Strukturen strategisch richtig. Nichtsdestotrotz leisten die Schmuggler:innen im Grunde effektiveren Support und de facto mehr für die praktische Umsetzung der Bewegungsfreiheit für alle.

Während politische Gruppen sich die Bekämpfung von Grenzen und das Erkämpfen von allgemeiner Bewegungsfreiheit zum Ziel machen, leisten die finanziell motivierten Schmuggler:innen mehr, um dieses Ziel auf subversive Art zu erreichen. Dass ein privater Markt effektiveren Support leistet, als linke, zumeist kapitalismuskritische Gruppen, sollte Letzteren zu denken geben.

Und die Moral der Geschicht: Support-Arbeit lohnt sich nicht.

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