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Deutsche Willkommenskultur – daheim und darüber hinaus

Es gibt viele Klischees, die weiße Deutsche den Menschen aus Westasien entgegenbringen. Ein Stereotyp, meist positiv gemeint, ist die immerzu präsente Gastfreundschaft. Auch dort, wo wir als BlindSpots aktiv sind, werden Freiwillige regelmäßig von Menschen auf der Flucht zum Essen und Tee eingeladen – eine Überbetonung der Gastfreundschaft liegt auch in aktivistischeren Kreisen leider oft nicht weit entfernt. Vielleicht ist es auch für viele Menschen eine unterbewusste Abgrenzung zur eigenen Kultur. Weniger als sieben Jahre nach der Deklaration einer „Willkommenskultur“ gegenüber Geflüchteten ist davon schließlich kaum mehr etwas zu hören. Während in Afghanistan Menschen vor dem Taliban-Regime flohen, tönte im deutschen Medienecho die Diskussion, warum sich 2015 nicht wiederholen darf. Doch auch außerhalb der selbsternannten Heimat gibt sich Deutschland mittlerweile Mühe, das brüchige Bild einer Willkommenskultur weiter zu begraben.

Freiwillige Rückkehr noch vor der Ankunft

Im Norden Bosniens verteilen Menschen aktuell Flyer, die für die „freiwillige Rückkehr“ werben. Finanziert von deutschen, österreichischen und niederländischen Steuergeldern will die International Organisation for Migration (IOM) Menschen zur Rückkehr in ihr Herkunftsland bewegen. Dahinter steht eine umfassende Kampagne, inklusive Website und Social Media Kanälen auf Instagram, Facebook und YouTube. Auf Englisch, Pashtu, Urdu, Bengali, Farsi und Arabisch bewerbt diese Rückführprogramme aus Bosnien Herzigowina, Serbien, Montenegro, Kosovo, Nordmazedonien und Albanien. Von medizinischer Hilfe, Flugtickets, Informationen über Unterstützung nach der Ankunft – das volle Unterstützungsprogramm wird angeboten.

Noch bevor Schutzsuchende die Europäische Union (EU) erreichen, lernen sie die deutsche und europäische (Un)Willkommenskultur kennen. Noch bevor sie ihr Ziel erreichen, wird ihnen klar gemacht, dass in der EU und in Deutschland für sie kein Platz sein soll. Man sehe von der überheblichen Annahme ab, dass Menschen überhaupt in ein Land wollen, in dem rassistische Gewalt bis hin zu rechtem Terror normalisiert wurde. Natürlich spricht die IOM nicht für die gesamte deutsche oder europäische Gesellschafft. Aber es sind ihre Steuergelder, die dafür verwendet werden und ein öffentlicher Aufschrei bleibt aus. Darüber hinaus ist das „Assisted Voluntary Return and Reintegration” (AVRR) Programm nur ein Teil der systematischen Auslagerung von Grenzgewalt durch IOM.

Eine Linie der Tradition

Die Flyer wecken für Menschen in Deutschland Erinnerungen. 2018 hat das deutsche Innenministerium unter dem Slogan „Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“ auf riesigen Werbeflächen bundesweit zur Ausreise von Migrant:innen aufgerufen. Natürlich waren dabei nicht diejenigen hochqualifizierten Migrant:innen gemeint, die den Facharbeiter:innenmangel entgegenwirken. Genauso wenig all die Migrant:innen, die in noch ausbeuterischen Verhältnissen die Wirtschaft am Laufen halten und höheren Klassen Essen liefern. In Deutschland war es 2018 längst okay, dass auf großflächigen Werbeplakaten diese rassistischen Botschaften auf Steuerkosten propagiert werden. Umso weniger wundert die jetzige Kampagne, in der durch IOM bereits vor den Toren der EU diese Botschaft der Willkommenskultur der EU verbreitet wird.

Aber auch in Teilen der Linken und sogenannten Mitte schwand mit den letzten Jahren die orientalistische Faszination am Geflüchteten „Anderen“: „Sechs Jahre nach 2015 schwindet der Hype um „alles und irgendwas mit refugees“ allmählich und damit auch die Finanzierungen, die für Themen wie Integration, Flucht oder Islamismusprävention vermehrt von Bund und Ländern bereitgestellt wurden.“ Vermutlich hat nie eine echte Willkommenskultur geherrscht. Umso weniger verwundert jetzt der übrig gebliebene letzte Rest der Solidarität mit Flüchtenden.

Humanitäres Grenzregime

An die Stelle gutgemeinter Willkommenskultur tritt aktuell eine Form der „humanitären Hilfe“, die vor allem verstörend ist. Der Instagram-Account der besagten Rückführungsinitiative von IOM trägt den Namen „Support for Migrants“. Auf der Website springen Bilder von lächelnden nicht-weißen  Menschen ins Auge. Die Sprachauswahl und Aufmachung der Website erinnern eher an eine der unzähligen Nichtregierungsorganisationen, die etwas mit oder für Geflüchtete macht. Dass es sich aber dabei um ein Programm handelt, das Menschen dahin zurück schickt, woher sie aus Gründen geflohen sind, wirkt in diesem Licht verstörend.

IOM zeichnet ein Bild eines humanitären Grenzregimes. Physische Gewalt an den Grenzen kombiniert mit Unterstützung und Geld, um in das Herkunftsland zurückzukehren. Gewaltvolle Auflösung von selbstorganisierten Räumen, an denen IOM aktiv mitwirkt, kombiniert mit der Inszenierung einer Camperöffnung als Akt der Solidarität. Ein humanitäres Grenzregime ist aber ein Widerspruch in sich. Grenzen haben den Zweck, Menschen auszuschließen und Ungleichheitsstrukturen aufrecht zu halten.

Solange staatliche, staatlich-geförderte, oder zivilgesellschaftliche Institutionen und Gruppen aber an der Idee  humanitärer Grenzen festhalten, wird die zugrundeliegende Gewalt des Ausschlusses bestehen bleiben. Benötigt wird keine „Willkommenskultur“, sondern offene Grenzen.