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Der BVMN-Jahresbericht 2020

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Der „Annual Torture Report 2020“ des BVMN wurde am 04.05.2021 veröffentlicht und ist abrufbar unter:

https://www.borderviolence.eu/wp-content/uploads/Annual-Torture-Report-2020-BVMN.pdf

Das Border Violence Monitoring Network (BVMN) ist ein unabhängiges Netzwerk von NGO´s und Verbänden mit Sitz in Südosteuropa und in Griechenland. Das Netzwerk dokumentiert Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen der Europäischen Union und setzt sich dafür ein, die Gewalt gegen Menschen auf der Flucht aufzudecken.

Im April dieses Jahres hat das BVMN einen Jahresbericht (Annual Torture Report) aus dem Jahr 2020 veröffentlicht, der begangene Gewalttaten an den EU-Außengrenzen dokumentiert. Hiermit möchten wir auf diesen Bericht aufmerksam machen und uns gleichzeitig gegen eine EU-Politik positionieren, die gewaltvolle Zurückweisungen von People on the Move (PoM) beabsichtigt. 

Im Jahr 2016 haben zwei maßgebende Entwicklungen die Richtung des Migrationsmanagements in der EU bestimmt: Das EU-Türkei Abkommen und dazu ergänzend, die Schließung der sogenannten „Balkanroute“. Laut des BVMN Berichts haben 13 Kollektive und NGOs illegale Pushbacks und Polizeigewalt entlang der EU-Außengrenze in Südosteuropa beobachtet. Alle Berichte, die bis heute veröffentlicht wurden, beschreiben die illegale Anwendung von Foltermethoden und herabwürdigender Behandlung, die durch staatliche Autoritäten verübt werden und bis heute unbestraft bleiben. Der Report des Jahres 2020 verdeutlicht, dass die Regelmäßigkeit und Grausamkeit der Pushback-Praktiken im Vergleich zu den Vorjahren alarmierend zugenommen hat.

Der Report 2020 dokumentiert konkrete Beweise darüber, wie systemische Gewalt von kroatischen und griechischen Autoritäten angewendet wird. Dabei wurden sechs Typologien von Missbrauch und Fehlverhalten herausgearbeitet, diese basieren auf einer Datensammlung, die durch ein Konsortium von unabhängigen Freiwilligen zusammengetragen wurde. Dafür wurden vom BVMN detaillierte und halb-strukturierte Interviews mit Einzelpersonen und Gruppen geführt. Die Zeugenaussagen über die Pushbacks und Gewalterfahrungen wurden zeitnah zu den Ereignissen gesammelt. Von diesen beinhalten bis zu 85% ein oder mehrere Merkmale von Folter und inhumaner Behandlung. Im Jahr 2020 konnten vom BVMN insgesamt 286 Zeugenaussagen zusammengetragen und erfasst werden, laut dem BVMN ist jedoch das reale Ausmaß bei weitem größer. 

TRIGGER WARNUNG: Im Folgenden werden die aufgedeckten Formen von Gewalt aufgelistet. Individuelle und detaillierte Erfahrungen/Zitate von betroffenen Personen werden hier nicht widergegeben, jedoch fassen die Beschreibungen die Anwendung von Gewalt, basierend auf den geführten Interviews, zusammen. Beim Lesen folgenden Inhalts können schreckliche Bilder hervorgerufen werden.

Es wurden sechs verschiedene Varianten der Misshandlung beobachtet: 

  1. Von der Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt wurde während der Zeugenaussagen am häufigsten berichtet. Darunter fällt der Einsatz von Schlagstöcken, das Schlagen und Treten mit Fäusten und Stiefeln, Lynchen, häufige Überfälle mit improvisierten Waffen und der Einsatz von attackierenden Polizeihunden. 
  2. Die Anwendung von elektrisch geladenen Waffen (Electric Discharge Weapons) wird als Bestrafung missbraucht und als unnötiges taktisches Mittel verwendet, um bei bereits fügsamen Individuen zusätzlichen Schmerz, Angst und Leid hervorzurufen. Bei 41% der Befragten stellte sich heraus, dass die Anwendung von EDWs sich gegen Gruppen richtete, welche Kinder und Minderjährige miteinschließen.
  3. Das Erzwungene Entkleiden von Individuen in Pushback-Situationen ist oft gefolgt von der Beschlagnahmung der Kleidung mit der Absicht, die Personen zu demütigen und sie einzuschüchtern. Im Jahr 2020 dokumentierten 37% aller Zeugenaussagen erzwungenes Entkleiden. Auch hier waren vermehrt Kinder und Jugendliche anwesend. Die Kleidung wird durch die Polizei routiniert verbrannt, anschließend werden die Menschen gezwungen komplett entkleidet, unter oft extremen Wetterbedingungen, viele Kilometer wieder zurück hinter die Grenze zu laufen. Dieser Akt von Gewalt wird oft mit weiteren Foltertechniken verbunden. Zudem tauchen neue Tendenzen von gezwungener Massenentkleidung in informellen Haftzentren auf. 
  4. Im Jahr 2020 hat das BVMN die Bedrohung und die Gewalt im Zusammenhang mit Schusswaffen in 23% aller Zeugenaussage festgestellt. Diese Kategorie beinhaltet das Benutzen einer Schusswaffe, um eine Exekution nachzuahmen, sowie das Laden einer Waffe in unmittelbarer Nähe zu der Person, um diese einzuschüchtern. Dies stellt eine unnötige, nicht verantwortbare Taktik dar, denn von den betroffenen Personen ging von keiner Zeit ein Risiko aus, welches ein solches Verhalten rechtfertigt.
  5. Einsatzwägen der Polizei werden oft zum Ort von inhumaner Behandlung und Missbrauch. Durch riskantes Fahren, langes Einsperren, extreme Funktion der Belüftungsanlage, und Enge in einem Polizeiauto werden die PoM absichtlich gestraft und eingeschüchtert. Im Jahr 2020 erzählten 27% der Zeugen von erfahrener Gewalt in einem Einsatzwagen der Polizei.
  6. In Polizeistationen und in informellen Haftzentren, wird People on the Move der Zugang zu medizinischer Versorgung, Übersetzung, Informationen, sanitären Anlagen und Verpflegung aktiv verwehrt. Anhaltendes und unnötiges Festhalten von Menschen an diesen abgelegenen Orten erlaubt der Polizei, den legalen und administrativen Beobachtungen zu entgehen, während sie gewaltvolle und illegale Praktiken durchführen. 

Die kroatische Antwort von offizieller Seite auf die Anschuldigung von Gewalt:

Kroatische Autoritäten erkennen die Menschenrechtsverletzungen in den Grenzgebieten nicht an. Das Ministerium bezieht sich auf die Taktik der legalen Abschreckung und versucht damit, eine Rechtfertigung für Pushbacks zu bewirken. Damit ignoriert der kroatische Staat den Artikel 14 des Schengen-Abkommens, welcher das Recht auf Asyl und internationalen Schutz nicht infrage stellt. Kroatien ist seit 2013 Mitgliedstaat der EU, jedoch noch kein Teil des Schengen-Raumes. Der Anwärter-Staat rechtfertigt implizit die Pushbacks mit dem Ziel, Teil des Schengen-Abkommens zu werden. Mit dem Vorwand, die EU vor illegaler Migration zu beschützen, gibt der kroatische Präsident zu, dass die kroatische Polizei Pushbacks ausführt. 

Die griechische Antwort von offizieller Seite auf die Anschuldigung von Gewalt:

Die Regierung versucht unaufhörlich, die Internationale Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass Griechenland illegale Pushbacks und Zwangsausweisungen von PoM weder erlaubt, noch durchführt. Die vom BVMN gesammelten Zeugenaussagen spiegeln jedoch eine systematische Abschiebepraxis vom griechischen Festland über die Evros-Grenze in die Türkei wider, es gibt Beweise dafür, dass griechischen Behörden direkt in die Organisation dieser Abschiebungen involviert sind. 

Das BVMN erklärt, dass die Europäischen Staaten in der Umsetzung von international geltendem Recht konsequent versagen. Die umfangreiche Datengrundlage des BVMN dokumentiert, wie Betroffene von Ketten-Pushbacks oft multiplen Formen von Folter und unmenschlicher, herabwürdigender Behandlung ausgesetzt sind. Das BVMN schließt daraus, dass diejenigen EU Staaten, die dazu verhelfen, dass PoM Misshandlung oder Folter ausgesetzt sind, dafür in die Verantwortung gezogen werden.

Es ist somit notwendig, dass die EU-Mitgliedsstaaten und die Vertragsstaaten von ECHR diese Verbrechen an PoM beenden und dass alle Beteiligungen oder Vereinfachungen an Pushbacks überprüft und gestoppt werden. Die systematische Anwendung von Folter als Abschreckungsform zur Verhinderung der Asylbeantragung muss enden und die dafür errichteten Strukturen müssen die Verantwortung für ihr inhumanes Handeln übernehmen. 

Den BVMN Bericht in voller Länge ist hier nachzulesen, ebenso die geführten Interviews mit den Betroffenen:

https://www.borderviolence.eu/wp-content/uploads/Annual-Torture-Report-2020-BVMN.pdf

Wir bedanken uns für die Arbeit des BVMN, ohne die diese inakzeptablen Grausamkeiten nicht aufgedeckt würden.  

Begriffe: 

European Convention on Human Rights (ECHR), Artikel 3: Dieser Artikel ist Teil der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und verbietet Folter, sowie inhumane und herabwürdigende Behandlung und Bestrafung. 

Pushbacks: Oft gewaltvolle Vertreibung von Einzelnen oder Gruppen in ein anderes Land, unterscheidet sich von Abschiebung oder Zurückweisung und schließt die Möglichkeit von Asyl aus.

Folter: Nicht zu rechtfertigende Handlung von Barbarei, bei der betroffenen Personen jegliche Art von starkem physischen und mentalen Schmerz absichtlich zugefügt wird. Das Verbot von Folter und Misshandlung im Internationalen Recht ist eines der fundamentalsten Werte von demokratischen Gesellschaften.

Electric Discharge Weapons (EDWs): Eine Elektrische Impulswaffe kann bei Berührung Elektroschocks ausführen. Diese Waffe ist in Deutschland seit 2008 verboten. Die eigentliche Bestimmung ist die der Notwehr, jedoch wird sie auch als Foltermethode missbraucht.