#solidaritywithoutborders

Polizeiauto in Bosnien
Aus den Augen aus dem Sinn: Umsiedlung hunderter Schutzsuchender​​​​​​​

Am 28. April um 8 Uhr morgens wurden wir Zeug:innen, wie das temporäre Aufnahmezentrum Miral in Velika Kladuša von den lokalen Behörden mit Unterstützung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des Dänischen Flüchtlingsrats (DRC) geschlossen wurde. Gerüchten zufolge hat das Sicherheitsministerium von Bosnien und Herzegowina beschlossen, die „People on the Move“ (PoM) in das Lager Lipa zu verlegen, da dessen Kapazitäten nicht ausgelastet seien. Weiteres Anliegen sei zudem, ihre Präsenz in der Innenstadt zu verringern und damit eine „Gefährdung“ der Bürger:innen auszuschließen.

So wurden die Bewohner:innen des Lagers Miral am oben genannten Tag gezwungen, in einen der vier Busse einzusteigen, während Spezialpolizist:innen in schwarzen, vergitterten VW-Bussen mehrere von PoM besetzte Häuser („Squats“) in der Nachbarschaft räumten. Nach Angaben betroffener PoM wurden diese in den frühen Morgenstunden von den Beamten abrupt geweckt und mussten innerhalb von fünf Minuten ihr Hab und Gut zusammenpacken, ohne zu wissen, wohin sie gebracht werden würden. Darüber hinaus zerstörten die Polizeibeamt:innen bei der Räumung Teile der Inneneinrichtung der Squats.

Brand und Wiedereröffnung des Camps Lipa

Das Lager Lipa brannte im Dezember 2020 vollständig ab und wurde erst Ende letzten Jahres in einer feierlichen Zeremonie wiedereröffnet. Lipa bietet über 1.500 Menschen einen „Schutzraum“, doch in Wirklichkeit ermöglichen die Gelder der Europäischen Union an diesem Ort vor allem die Isolation von Menschen mitten im Nirgendwo – das Camp ist etwa 20 km von der nächsten Stadt, Bihać, entfernt. Das neu errichtete Camp wird vom „Dienst für auswärtige Angelegenheiten“ (SFA), einer unabhängigen Verwaltungseinheit innerhalb des Ministeriums für Sicherheit in Bosnien und Herzegowina, mit beratender Unterstützung der IOM verwaltet. Es ist in drei geschützte Wohnbereiche (Minderjährige, Familien, alleinstehende Männer) unterteilt und die Container sind als Unterkunft für bis zu sechs PoM vorgesehen. Im Lager werden drei wählbare Mahlzeiten pro Tag angeboten und die Menschen können in einer Außenküche selbst Essen zubereiten. Scheinbar versucht der SFA nicht, Menschen im Lager zu halten, die den Grenzübertritt in die EU versuchen wollen. Das Lager versteht sich also nicht als Haftanstalt.

Camp Miral und der Abtransport von illegalisierten Migrant:innen

Neue Lösungen, alte Probleme?

Doch auch wenn sich die Lagerstrukturen seit dem letzten Brand scheinbar verbessert haben, entlarvt ihre bloße Existenz die bestehenden Probleme in der europäischen Asylpolitik einmal mehr. Das Lager schwächt die Symptome dieses strukturellen Versagens ein wenig ab, ohne jedoch seine Ursachen zu bekämpfen. Darüber hinaus ist der grundsätzliche Ansatz der EU, Lager in außereuropäischen Ländern zu errichten, um Menschen von ihrem eigenen Territorium fernzuhalten, scharf zu verurteilen. Die IOM als UN-nahe Organisation wird weitgehend von den USA und den EU-Mitgliedstaaten finanziert. Somit stellt sich die Frage, ob trotz oder gerade aufgrund ihrer humanitären Arbeit die Sichtbarkeit von PoM immer mehr schrumpft. Es entsteht der Eindruck, dass die Lebensumstände der PoM durch die staatlichen Hilfsprojekte gerade so geringfügig aufgewertet werden sollen, dass sie Minimalstandards erreichen, die breiten Teilen der Bevölkerung die Abwendung von diesem humanitären Krisenherd vereinfachen.

Kaputter Ofen
Durch die Polizei zerstörte Ofen in einem Squat

Die Situation in Lipa

Vor Ort führt diese unmenschliche Behandlung zu einer extremen Belastung sowohl der psychischen als auch der zeitlichen Ressourcen der PoM: Wie bereits in der Vergangenheit zu sehen war, werden viele PoM zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus Lipa fliehen, um ein gewisses Grad an Autonomie zurückzuerlangen und beispielsweise nicht an Ausgehregelungen in den Camps gebunden zu sein. Außerdem wurde uns in Gesprächen mit PoM davon berichtet, dass die Stimmung unterhalb den Campbewohner:innen aufgrund der menschenunwürdigen Situation extrem aufgeheizt sei und sie unter ständiger Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen gestanden hätten. Die vielen, die sich die teuren Bustickets für die Rückfahrt zu den Squats in Velika Kladusa nicht leisten können oder aufgrund von rassistischen Anfeindungen vom Transport ausgeschlossen werden, müssen hierfür dutzende von Kilometer der Wälder von Una Sana durchqueren.

Blindspots unterstützt die PoM, sobald sie nach Velika Kladuša zurückkehren. Aufgrund der Schließung des Lagers Miral könnte die Zahl der Menschen, die in den lokalen Squats Schutz suchen, in den nächsten Tagen und Wochen unvorhersehbar ansteigen. Um sich mit PoM zu solidarisieren und sie in ihrem Kampf um die Aufnahme in die EU zu unterstützen, möchten wir hiermit zu Spenden für unser Projekt in Bosnien aufrufen. Mit Hilfe eurer Spenden können wir weiterhin Brennholz für PoM bestellen und verteilen, damit sie sich täglich eine warme Mahlzeit kochen können, mobile Öfen in den Notunterkünften bauen und installieren und durch kleinere Bauarbeiten (z.B. Türen, Fenster) etwas mehr Privatsphäre gewährleisten. Hierdurch wollen wir die PoM in die Lage versetzen, eine gewisse Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von staatlichen Strukturen wiederzuerlangen.

Gleichzeitig fordern wir die EU auf, das grausame Grenzregime zu beenden und sichere Übergänge in die EU zu schaffen!

#noborders

#freedomofmovement

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